Gilla Berquet von 7C Consulting im Interview mit Clara Niemann, Studentin der Psychologie an der Humboldt Universität zu Berlin

Clara Niemann: „Wie hat Corona die Arbeitswelt verändert?“

Gilla Berquet: „Grundlegend verändert hat sich, dass wir unseren Tagesablauf und unser Verhalten ändern mussten. Persönliche Treffen, Meetings und face-to-face Gespräche finden nicht statt. Stattdessen arbeiten viele MitarbeiterInnen im Home Office (laut StepStone sind 55% der Arbeitnehmer derzeit im Home Office) und die Kinder werden von zu Hause aus unterrichtet. Für die meisten von uns  ist das eine völlig unbekannte Situation, die ihre eigenen Herausforderungen, besonders für die Arbeitswelt, mit sich bringt. Man kann sich nicht mehr „eben schnell“ absprechen oder gemeinsam in die Mittagspause gehen. Wir bemerken, dass das Arbeiten digitaler wird. Absprachen laufen virtuell und anstelle der regelmäßigen Termine treten nun Videokonferenzen. Auch wenn diese Art zu arbeiten für einige schon vorher Alltag gewesen sein mag, so müssen sich jetzt doch viele Menschen umgewöhnen und so arbeiten, wie sie es zuvor vielleicht noch nie getan haben. Das ist nicht immer leicht.“

Clara Niemann: „Haben wir es mit einem beschleunigten Prozess des digitalen Arbeitens und mehr „New Work“ zu tun?“

Gilla Berquet: „Zunächst einmal: Was bedeutet New Work? Der Begriff wurde durch den Philosophen Frithjof Bergmann geprägt. Er stellte sich die Frage: „Was will man wirklich?“ Gemeint war damit die Entwicklung der Arbeitskultur von strengen unternehmerischen Auflagen hin zu einer Entscheidungs- und Handlungsfreiheit des Einzelnen, in der man Arbeit verrichtet, die man „wirklich, wirklich will“. Der Begriff, entstanden in den 70er Jahren, ist nicht neu, aber für die heutige Arbeitswelt umso wichtiger. New Work ist damit ein Sammelbegriff für verschiedene, meist alternative Arbeitsweisen. New Work, die neue Arbeit, soll nun das Mittel sein, mit dem sich der Mensch als freies Individuum verwirklichen kann. Damit geht es Bergmann insbesondere um die sinnstiftende Funktion der Arbeit, aber auch um Werte wie Freiheit und Selbstständigkeit (haufe). New Work meint also nicht nur Startups, die einen Kicker im Büro haben, sondern vor allem das Arbeiten, wo und wann immer man will, so lang oder kurz man sich seinen Tag eben einzuteilen vermag.“

Clara Niemann: „Zurück zur Frage: Beschleunigen sich Prozesse in der digitalen Arbeit und sehen wir mehr „New Work“?“

Gilla Berquet: „Digitales Arbeiten, was wir zu Zeiten von Corona verstärkt betreiben müssen, gehört zu einer ganzen Reihe von Begriffen im Rahmen von New Work. Digitales Arbeiten und Arbeit von zu Hause aus schafften Flexibilität. Gleichzeitig werden die Übergänge zwischen Arbeit und Freizeit fließender, wenn der eigene Schreibtisch zum Bürotisch erklärt wird.

Die „Zwangspause“ durch Corona scheint die Einführungen dieser Arbeitsweisen beschleunigt zu haben. Was für viele vielleicht schon Alltag war müssen andere nun im Schnelldurchlauf lernen: Wie geht man mit Programmen um, die die Absprache online erleichtern sollen? Auf den ersten Blick ist das schwierig zu durchschauen.“

Clara Niemann: „Was brauchen Menschen, die zum ersten Mal virtuell arbeiten, von ihren Führungskräften?“

Gilla Berquet: „Es ist wichtig, seine KollegInnen mit neuen Methoden vertraut zu machen, besonders diejenigen KollegInnen, die wenig Erfahrungen mit bestimmten technischen Programmen haben. Um auch in Krisenzeiten gut arbeiten zu können, müssen sie von ihren Führungskräften dort abgeholt werden, wo sie sich mit ihrem Wissensstand befinden. Es muss klar werden, welche Tools wann und wozu eingesetzt werden. Äußerst wichtig ist es hier für die Führungskräfte, die unterschiedliche Herangehensweise ihrer MitarbeiterInnen an digitale Arbeitsmethoden nicht auf das Alter zu schieben. Wie gut jemand mit neuen Tools und Methoden zurechtkommt, hängt vor allem vom Persönlichkeitstyp ab und wie der- oder diejenige gewohnt war, zu arbeiten. Es gibt auch junge Menschen, für die New Work und digitales Arbeiten neu sind. Stecken Sie die Menschen also nicht zu früh in Schubladen.“

Clara Niemann: „Inwiefern verändert sich das zwischenmenschliche Zusammenarbeiten im digitalen Kontext?“

Gilla Berquet: „Die digitale Zusammenarbeit kann für viele die Leichtigkeit aus dem Arbeitsalltag nehmen: Es ist eben nicht möglich, eben schnell zur Kollegin ins Büro zu gehen oder sich über die Tische hinweg kurz zu einem bestimmten Thema abzustimmen. Das bedeutet auch, dass Meetings strukturierter als vorher stattfinden müssen. Auch schnelle Absprachen über Skype oder Zoom müssen vorbereitet werden, sonst passiert es schnell, dass man aneinander vorbeiredet, gerade in online Meetings. Diese Strukturiertheit und die Planung der Termine sind notwendig, um auch in Coronazeiten Probleme effizient zu lösen.

Was vielleicht nicht auf den ersten Blick klar ist: Digitales Arbeiten kann dazu führen, dass der Ton untereinander scheinbar rauer wird. Das liegt daran, dass der Small Talk online oft wegfällt. Gerade bei der Kommunikation über Messenger Dienste fehlt das klassische „Wie geht es dir?“ am Anfang des Gesprächs. Die Menschen sind direkter, was schnell als unfreundlich wahrgenommen wird. Digital resilient sein lautet hier das Stichwort. Auch die Kaffee- und Mittagspausen, vorher oft Raum für lockerere und private Gespräche, sind nun nicht mehr Teil des Alltags. Lassen Sie sich davon nicht beirren. Verabreden Sie sich stattdessen vielleicht zu digitalen Kaffeepausen und reden Sie privat mit den KollegInnen. So kommen die persönlichen Bedürfnisse trotz veränderter Arbeitsweisen nicht zu kurz.“

Clara Niemann: „Müssen wir alle mehr Erwartungsmanagement betreiben?“

Gilla Berquet: „Mit Sicherheit! Gerade wenn man sich nicht persönlich sehen kann, muss abgeklärt werden, wie jeder und jede am besten arbeiten kann. Kommunizieren Sie zu diesem Zweck mit Ihren KollegInnen und fragen sie sich gegenseitig: „Wie arbeite Ich? Wie arbeitest Du? Wie finden wir damit am besten zusammen?“ Seien Sie hier genau und sprechen Sie auch Schwierigkeiten und auch Ängste an, mit denen Sie konfrontiert wurden. Vielleicht haben Ihre KollegInnen dieselben Erfahrungen gemacht.“

Clara Niemann: „Was hat das alles mit Emotionaler Intelligenz zu tun?“

Gilla Berquet: „Hinter all diesen Punkten steht das große Stichwort „Emotionale Intelligenz“. Emotionale Intelligenz beschreibt eine Reihe von Fähigkeiten, die uns helfen, Emotionen in uns selbst und anderen wahrzunehmen, zu verstehen und damit gut umzugehen. Sechs Facetten liegen diesem Konzept zu Grunde: Selbstwahrnehmung, Wahrnehmung von anderen, Authentizität, emotionales Schlussfolgern, Selbstmanagement und positiver Einfluss. Emotional kompetente Personen sind besser dazu in der Lage, andere zu verstehen, Sorgen und Bedürfnisse zu erkennen und den KollegInnen entgegen zu kommen.

Das alles sind zu Coronazeiten wichtige Verhaltensweisen. Gerade wenn die Arbeit nicht mehr persönlich, sondern online stattfindet, braucht es diese Kompetenzen, um weiter gut und strukturiert miteinander zu arbeiten. Denn dass der neue Corona-Alltag uns alle besonders belastet, ist nur logisch. Empathie und das emotionale „aufeinander Zugehen“ steht jetzt im Vordergrund. Wenn wir jetzt noch bereit sind, flexibel zu arbeiten und pragmatische Lösungen auch für Einzelpersonen zu finden, wird der digitale Arbeitsalltag leichter zu bewältigen sein.“